von Julia Pfligl
Protest auf dem Kopf. Vom feministischen Kurzhaarschnitt bis zu den zotteligen Hippies – Frisuren sind mehr als bloße Selbstdarstellung. Immer wieder wurden sie dazu genutzt, um Missstände aufzuzeigen
Es war eine simple und dennoch wirkmächtige Geste, mit der Frauen in den vergangenen Wochen weltweit aufbegehren. Aus Solidarität mit der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini – sie hatte gegen die Kopftuchpflicht verstoßen und starb später in Polizeigewahrsam – griffen immer mehr Frauen zur Schere und schnitten auf der Straße einen Teil ihrer Haare ab.
Ihr Protest richtet sich nicht nur gegen ein Stück Stoff, sondern gegen eine Vorstellung von Weiblichkeit und Unterdrückung in einer patriarchalen Gesellschaft (siehe unten). Die Feminismusexpertin und Genderforscherin Petra Unger erklärt, warum der Scheren-Schnitt in diesem Kontext so provoziert: „Weibliches Haar wurde – ähnlich wie die Brust – immer schon sexualisiert aufgeladen und muss daher in manchen Kulturen verdeckt werden. Haare eignen sich also als Protestmittel gegen Rollenzuschreibungen, weiblich wie männlich.“
Über kurz oder lang
Seit jeher dienen Kopfhaare und deren Gestaltung als Projektionsfläche: für individuellen Stil und Status, aber auch für Protest und politische Überzeugungen. „Haare waren in der Geschichte immer wieder Ausdruck von Machtverhältnissen“, sagt die Kulturwissenschafterin Alexandra Karentzos, die zu Mode und Ästhetik forscht. „Man denke nur an die lang gelockte Perücke von Ludwig XIV., der um 1700 damit seinem Status Ausdruck verlieh. Marie Antoinette wurden vor ihrer Hinrichtung die Haare abgeschnitten, was ihre Entmachtung symbolisierte.“
Auch das Abschneiden von Frauenhaar als Symbol für Freiheit und Emanzipation ist nicht neu. Vor gut hundert Jahren kam der „Bubikopf“ in Mode und wirbelte die traditionelle Geschlechterordnung durcheinander. 2015 sorgte die als Sex-Symbol bekannt gewordene Hollywood-Schauspielerin und spätere #MeToo-Initiatorin Rose McGowan mit ihrem neuen „Buzz Cut“ für Aufsehen. In ihren Memoiren begründete sie den Kahlschlag damit, nicht länger wie ein „Spielzeug feuchter Männerfantasien“ aussehen zu wollen. Die rebellische Modedesignerin Vivienne Westwood wiederum rasierte sich ihre Haare raspelkurz, um auf die Gefahren der Erderwärmung aufmerksam zu machen.
„Das Haar hat ungeheuer viele Dimensionen“, führt Petra Unger aus. „Nicht nur das Individualisieren, sondern auch das Uniformieren durch den gleichen Haarschnitt wie etwa beim Militär oder bei Gefängnisinsassen. Das ist ein gravierender Eingriff in die Persönlichkeit – man denke an das Kahlscheren von KZ-Häftlingen.“
Peace, Love and Hair
Gegen diese „Gleichmachung“ formierte sich in den späten 1960er-Jahren friedlicher Widerstand, der sich ebenfalls auf dem Kopf manifestierte. Anhänger der Hippie-Bewegung ließen sich ihre Haare lang wachsen, um sich vom Vietnamkrieg und bürgerlichen Standards, die ihre Elterngeneration vorlebte, zu distanzieren. Nach den Hippies kamen die Punks, die mit stacheligem, bunt gefärbtem Irokesenschnitt ein schrilles Zeichen gegen das Establishment setzten.
Die politische Dimension von Haaren zeigte sich 2016 in einer alarmierenden Studie aus den USA: Schwarze Frauen und Männer, die ihr natürliches, krauses Haar tragen, werden im Job mit Vorurteilen konfrontiert – gut fünfzig Jahre, nachdem die Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis den „Afro“ zum Symbol der Black-Power-Bewegung machte. „Im Kontext von Black Lives Matter kommt diesem Aspekt nun wieder besondere Bedeutung zu“, sagt Karentzos. Der Kampf für Gleichberechtigung findet nicht nur in, sondern eben auch auf den Köpfen statt.
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