Das Berufsbild von 2019 hat nicht nur den Namen des Lehrberufs Friseur geändert, sondern zahlreiche Änderungen implementiert, die den Beruf an aktuelle Anforderungen vorbereiten sollen.
Exakt 99.925 Jugendliche befanden sich zum 31. Jänner 2022 in einer Lehrausbildung, 29.730 davon im ersten Lehrjahr. Damit hat der österreichische Lehrstellenmarkt beinahe wieder auf das Niveau vor der Corona-Pandemie erreicht. Doch so positiv das auch ist, ändert es nichts am dramatischen Mangel an Nachwuchs, der sich durch alle Branchen und – fast alle – Bundesländer zieht. Denn bis auf Wien gibt es überall in Österreich ein deutlich größeres Angebot an offenen Lehrstellen als interessierten Jugendlichen. Und diese Entwicklung macht auch vor den Friseuren nicht Halt. Weist die Lehrstellenstatistik der WKO für 2010 noch 4812 Lehrlinge aus, sinkt dieser Wert zehn Jahre später auf nur noch 2724 (-43,4 %). Alleine die Beule, die Corona in die Lehrlingszahlen schlug, machte 18,5 Prozent (siehe Interview mit BIM-Stv. KommR. Georg Wilhelmer) aus.
Umso wichtiger ist es, den Beruf und damit auch das Berufsbild für mögliche Bewerber attraktiv zu halten.
Das aktuelle Berufsbild vom 1. Juni 2019 ist dabei gleich über mehrere Schatten gesprungen. Der äußerlich wichtigste betrifft dabei die Berufsbezeichnung: Die Lehre nennt sich nun „Friseur (Stylist) / Friseurin (Stylistin)“. Doch unter dieser neuen Oberfläche gibt es tiefgreifende Änderungen. Diese lassen sich im Wesentlichen unter dem Begriff „Kompetenz“ zusammenfassen und betreffen keineswegs nur den fachlichen Bereich im engeren Sinn, sondern insbesondere Aspekte, die darüber hinausreichen und im modernen Berufsleben zunehmend unabdingbare Fähigkeiten darstellen. Die vier Schlüsselqualifikationen „Methodenkompetenz“, „Soziale Kompetenz“, „Personale Kompetenz“ und „Kommunikative Kompetenz“ sollen die Lehrlinge fachübergreifend zu selbständigen, team- und zielgruppenorientierten Mitarbeitern heranbilden und sich auch selbst als modebewusste Stylisten präsentieren.
Mit der Erweiterung um den Bereich des Nageldesigns, Kenntnisse im Bereich Make-up und Maskenbildnerei sowie Bartfärbetechniken wurde das Berufsbild darüber hinaus um auch wirtschaftlich interessante Perspektiven erweitert, die durch einen eigenen Abschnitt zum Thema Betriebswirtschaft abgerundet werden. Und nicht zuletzt zieht sich ein großes Thema durch das gesamte Berufsbild: die Digitalisierung, von der Terminvereinbarung über das Kassensystem bis zum Datenschutz.
Genug Gründe also, mit einem Experten – Bundesinnungsmeister-Stellvertreter KommR. Georg Wilhelmer – dem aktuellen Berufsbild sowie der Lehrlingsentwicklung auf den Zahn zu fühlen.
„Kompetenz ist der zentrale Begriff hinter dem Berufsbild“
Bundesinnungsmeister-Stellvertreter KommR. Georg Wilhelmer im Gespräch mit OVERHEAD über die Umstellung auf die kompetenzorientierte Lehre, die Zukunft des Berufsbildes und die Attraktivität des Friseurberufes für Lehrlinge angesichts schwindender Lehrlingszahlen.
OVERHEAD: Wie sieht es aktuell mit dem Berufsbild aus?
Georg Wilhelmer: Ich zumindest bin zufrieden, aber ich habe ja auch bei der Ausarbeitung mitgearbeitet (lacht). Das neue Berufsbild ist ja erst seit Juni 2019 in Kraft und hat gegenüber dem vorhergehenden Berufsbild doch einiges verändert. Dazu gehört an erster Stelle natürlich der neue Berufsname: Der Lehrberuf heißt jetzt Friseur / Stylist. Verändert haben sich auch ganz generell die Wortlaute, hier wurde deutlich stärker auf eine Vereinfachung geachtet.
Außerdem ist vieles reingenommen worden, das im heutigen Geschäftsleben einfach wichtig ist, wie zum Beispiel das Bartservice, aber auch Haarschnitt-Zeichnungen sowie die beiden zentralen Bereiche Digitalisierung und soziale Kompetenz. Hinzu kommen auch vertiefte Bereiche, wie die Kostenrechnung oder andere betriebswirtschaftliche Themen.
Dafür wurde anderes, wie zum Beispiel die Maskenbildnerei, die nun hauptsächlich im Meisterbereich bearbeitet wird, etwas zurückgestellt. Überhaupt ist Kompetenz der zentrale Begriff hinter dem Berufsbild. Das gilt jetzt auch für die Lehrabschlussprüfung. Sie ist zwar nach wie vor theoretisch und praktisch, theoretisch aber nur jene, die die Berufsschule negativ abgeschlossen haben oder Quereinsteiger sind. Alles läuft aber kompetenzorientiert ab: Jeder Lehrling zieht eine Karte mit einem Haupt- und einigen Untergebieten und kann dann frei kompetenzorientiert darüber sprechen. Das ist auch für die Kommissionen eine große Umstellung. Dazu gibt es eine über die Sozialpartner abgestimmte und vom Ministerium begutachtete einheitlich veröffentlichte Ausschreibung, um zu gewährleisten, dass in ganz Österreich eine gleiche Bewertung gegeben ist. Insgesamt glauben wir, dass damit das Berufsbild den modernen Anforderungen angepasst und dem Vorwurf, es sei verstaubt, der Wind aus den Segeln genommen wurde.
OVERHEAD: Welche Problembereiche gibt es im Berufsbild dennoch?
Georg Wilhelmer: Unser Ziel ist es natürlich, auf die Notwendigkeiten einzugehen, und wir haben das Berufsbild auch in relativ kurzer Zeit zweimal überarbeitet. Immerhin sind wir als Branche nahe am Kunden und müssen uns daher immer wieder fragen, was der Kunde, was die Branche braucht. Allerdings ist die Umsetzung ein vorgegebener Prozess, da das Berufsbild zunächst geschrieben, dann begutachtet wird und schließlich erst in die Lehrpläne der Schulen umgesetzt werden muss. Und da liegt der Haken, denn das dauert oft länger, als wir es uns wünschen: Es gibt den Bundeslehrplan, die Landeslehrpläne, und jede Berufsschule kann noch Varianten einbauen. Das macht es sehr kompliziert. Da würde ich mir wünschen, dass das schneller und effektiver umgesetzt wird.
OVERHEAD: „Den Friseur wird es immer brauchen“, heißt es. Doch andererseits ist gerade der Styling-Bereich ewigen Änderungen unterworfen. Wie gelingt der Spagat zwischen handwerklicher Tradition und der Schnelllebigkeit von Trends?
Georg Wilhelmer: Die Basis-Kompetenzen brauchen wir immer, genauso wie die Technik. Die bleibt immer die gleiche. Der moderne Touch ist dann eben die aktuelle Frisuren-Mode, wie sie auch im Berufsbild erwähnt ist. Da haben wir schon versucht, den modischen Touch mit der Basis zu kombinieren. Das heißt, es kann sich jetzt jeder so frei entwickeln, wie er das möchte. Insbesondere auch deshalb, da wir ja das Berufsbild auch um den Themenbereich Nageldesign erweitert haben, der gerade heute modisch hoch im Kurs steht.
OVERHEAD: Teil des Berufsprofils ist auch das „Ermitteln von Kundenwünschen sowie Führen von Informations-, Beratungs-, Betreuungs- und Verkaufsgesprächen“, also der Servicebereich. Bei vielen Friseuren ist jedoch insbesondere der Verkauf im Allgemeinen, aber insbesondere auch andere Bereiche des Berufsbilds, wie zum Beispiel Kosmetik, ein Stiefkind, während andere hier starke Umsätze generieren oder gar hauptsächlich von Service und Verkauf leben. Manche Friseure beispielsweise – aber zweifelsfrei eine Minderheit – setzen vollständig auf Service und Verkauf. Wie kann man hier Alternativen auch im Rahmen des Berufsbilds und somit schon am Beginn der Ausbildung stärken?
Georg Wilhelmer: Diesen Bereich umfasst das Berufsbild auch jetzt schon. Ich glaube, dass hier die Spezialisierung ein großes Thema ist. Das hängt aber natürlich stark vom jeweiligen Betrieb ab. Im Berufsbild verankert ist es jedenfalls und wird auch in der Berufsschule gelehrt. Grundsätzlich umfasst das Berufsbild also alles, aber die Ausbildungsbetriebe müssten natürlich auch nach diesem Berufsbild ausbilden. Da obliegt es aber dem kaufmännischen Geschick des jeweiligen Salons, wie das gehandhabt wird. Viele machen es deswegen nicht, weil sie zum Beispiel viel Laufkundschaft haben.
OVERHEAD: Digitalisierung spielt eine immer größere Rolle. Gerade als Unternehmer ist man auch auf gute digitale Kommunikation per Social Media angewiesen, aber auch Kunden- und Terminverwaltung oder die Analysemöglichkeiten der Kassensysteme bieten in betriebswirtschaftlicher Hinsicht vielfach neue, nicht genutzte Möglichkeiten. Inwiefern spielt der digitale Bereich im Berufsbild eine Rolle, wie kann man moderne Techniken in den Beruf integrieren?
Georg Wilhelmer: Digitalisierung ist, wie Eingangs erwähnt, schon im aktuellen Berufsbild verankert und der Bereich wird bei uns in Kärnten wie auch in den anderen Bundesländern unterrichtet. Heute sind z.B. viele Kassensysteme schon auch auf Social Media ausgerichtet. Aber auch hier ist es eben so, dass viel Ausbildungsbetriebe das nicht nutzen. Allerdings geht es aber natürlich auch darum, Lehrlinge so auszubilden, dass sie Spaß an der Arbeit haben. Insgesamt muss man aber sagen, dass dieser Bereich nicht die gleiche Gewichtung wie die fachliche Ausbildung hat.
OVERHEAD: Wohin soll sich das Berufsbild in Zukunft entwickelt?
Georg Wilhelmer: Wir beobachten die Wünsche der KundInnen und den Markt bzw. Veränderungen sehr genau und wir evaluieren das Berufsbild jedes Jahr. Wenn man merkt, dass etwas nicht mehr so ganz passt, dann wird es auch angepasst und geändert. Da aber stoßen wir eben auch immer wieder auf den zeitfressenden Begutachtungs- und Umsetzungsprozess, weswegen wir – insbesondere auch beim aktuellen Berufsbild – versuchen, alles möglichst gut und zeitgemäß hinzubekommen.
OVERHEAD: Wie haben sich die Lehrlingszahlen in der Pandemie entwickelt?
Georg Wilhelmer: Durch die Pandemie hatten wir einen Einbruch der Lehrlingszahlen um 18,5 Prozent. Dennoch sind wir nach wie vor der drittbeliebteste Lehrberuf. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, wir müssen den Lehrlingen trotzdem noch mehr bieten. Und da würde ich mir wünschen, dass einfach wieder mehr Betriebe Lehrlinge ausbilden. Gute Voraussetzungen sind mit dem neuen Berufsbild schließlich geschaffen: Das Berufsbild ist modern und man kann mit dem Lehrberuf auch gutes Geld verdienen.
Denn eines ist klar: Auch wenn wir noch im positiven Bereich sind, werden wir ohne Ausbildung bald keine Fachkräfte mehr haben. Daher müssen wir den Interessierten auch die Möglichkeit bieten, eine gute Ausbildung mit Chancen für eine erfolgreiche Zukunft zu erhalten.
OVERHEAD: Wie sieht es hier auf Seiten der Lehrlinge aus? Welche Anforderungen gibt es bzw. was muss ein Lehrling heutzutage mitbringen?
Georg Wilhelmer: Ein potentieller Friseurlehrling sollte sich jedenfalls erst einmal für den Beruf begeistern, handwerklich geschickt sein und auch selbst durch eine gepflegte, modisch orientierte äußere Erscheinung das Friseur-Sein repräsentieren. Dazu kommen aber noch wichtige Aspekte wie zum Beispiel einen sozial und sprachlich guten Kundenumgang zu beherrschen. Nicht zuletzt braucht es aber auch noch Grundwissen, vor allem aber den Willen stets weiter zu lernen und sich auch handwerklich weiterzubilden. Ehrgeiz in Kombination mit modischem Zeitgeist ist in jedem Falle ein Erfolgsgarant als Friseur.
OVERHEAD: Lehrlinge sind ein begehrtes Gut und nach den aktuellen Lehrlingszahlen zunehmend rarer. Wie kann man sich als Friseurbranche angesichts der Konkurrenz der einzelnen Lehrberufe um die Jugendlichen attraktiv positionieren?
Georg Wilhelmer: Zwar ist Friseur noch der drittbeliebteste Lehrberuf, aber wie schon erwähnt, darauf können wir uns nicht ausruhen – denn andere Sparten oder ganz andere Ausbildungsformen konkurrieren um die Ressource Mensch. Einerseits möchten wir besser transportieren, dass ein ausgelernter Friseur gutes Geld (über Prämiensysteme, Überbezahlung, Überstunden, Trinkgeld) verdienen kann. Beim Lehrlingslohn sehen wir jedoch noch Anpassungsbedarf. Prinzipiell würde ich jedoch sagen, dass die Attraktivität eines Berufes nicht nur über die Bezahlung definiert werden kann. Wir müssen transportieren das „Friseur/ Stylist“ ein abwechslungsreicher, modisch orientierter Handwerksberuf ist unter guten Arbeitskonditionen (im Innenraum, keine Schicht-Arbeitszeiten, etc.) mit positivem, sozialen Team-Gefügen in den Salons mit unbegrenzten Chancen, wenn man auf unsere international tätigen Bühnenakteure (Mario Krankl, Bertram K, …) blickt.
OVERHEAD: Kombinationen von Lehre und höherer Bildung sind derzeit absolut im Trend, traditionelle Bildungswege lösen sich zunehmend auf. Gibt es diesbezüglich Anstrengungen der Innung, um höhere Fortbildungen auf Matura- oder FH-Ebene zu fördern bzw. neu zu entwickeln?
Georg Wilhelmer: Es gibt hier verschiedene Kombinationen von Ausbildungsmöglichkeiten um diesen Trend der „verschlungenen Lebensläufe“ Rechnung zu tragen. So ist es möglich Lehre mit Matura zu machen, im Friseurbereich ist diese Option noch nicht so ganz angekommen – hier gilt es diese Möglichkeit besser zu transportieren. Aber auch für Quereinsteiger besteht die Möglichkeit ohne klassische Friseurlehre, wenn sie eine entsprechende Vorbildung plus ergänzende Kurse haben, eine Meisterprüfung abzulegen. Auch die Modeschule Hallein ist eine hervorragende Möglichkeit eine höhere Ausbildung (Matura) mit einem Lehrabschluss (Friseur/ Stylist) zu kombinieren.
OVERHEAD: Danke für das sehr interessante Interview!
(Interview geführt durch Bernhard Sax MSc.)