Fachkräftemangel, negatives Image – die Lehre im Allgemeinen und die Friseure im Besonderen haben es schwer.
Wie man auf die aktuellen Herausforderungen reagieren kann, erklärt Unternehmensberater Peter Zöllner im Interview.
OVERHEAD: Der Fachkräftemangel ist zunehmend spürbarer. Was sind die Hauptursachen?
Peter Zöllner: Eine wichtige Ursache ist natürlich die zunehmende Orientierung Richtung weiterführende Schulen in den letzten Jahren und dass dadurch auch das Handwerk generell ins Hintertreffen gekommen ist. Dazu kommt noch das kulturelle Problem, dass das Handwerk insgesamt nicht mehr diese Wertschätzung genießt wie früher. Zum Zweiten hat esauch noch das Negativimage, und das betrifft in weiterer Folge auch das Thema Bezahlung der ausgelernten Friseure. Der Einstieg in den Beruf verläuft dann halt oft auch unter dem Motto „Wenn dir nix Besseres einfällt, dann …“. Dabei ist der Friseurberuf insbesondere für viele Mädchen ein Traumberuf. Und das bedeutet auch Chancen, mit denen man sich auseinandersetzen muss.
OVERHEAD: Wie lassen sich diese Chancen heben?
Zöllner: Nun, da stellt sich die Frage, was aus diesen Chancen geworden ist und was man tun muss, um den Beruf wieder als Chance zu begreifen. Und da ist es zurzeit so, dass wir Vollbeschäftigung haben – wieso sollte also jemand wechseln? Vielen ist durch Corona auch ein signifikanter Teil ihres Einkommens verloren gegangen, mit der Folge, dass andere Arbeitszeitmodelle in Anspruch genommen werden oder Leute auch aus dem Beruf gegangen sind. In Verbindung mit dem allgemeinen Trend zur Teilzeitarbeit muss man also damit rechnen, dass man zwar Nachwuchs bekommt, aber andererseits Leute ganz oder teilweise aus dem Beruf gehen. Der Markt richtet sich da mit unterschiedlichen Aktionen darauf ein. In Deutschland hatten wir zum Beispiel gerade Berufsmessen, da haben viele auch wieder Lehrlinge bekommen. Aber man muss auch sehen, dass in Österreich zum Beispiel nur ein Fünftel der Friseure Nachwuchs ausbildet – ob aus Lehrlingsmangel oder weil man auch nicht will. Letzten Endes hätte aber jeder gerne Fachkräfte, aber da muss man sich dann auch die Frage stellen, wo man das System entsprechend ändern kann. Ideen von Verbänden oder auch Einzelnen gibt es dazu ja.
OVERHEAD: In Österreich hat man es mit einer Änderung des Berufsbildes versucht, unter anderem erhalten die Lehrlinge dadurch deutlich mehr Geld. Was sehen Sie da noch für Möglichkeiten?
Zöllner: Mehr Geld ist natürlich eine Möglichkeit. Ich habe da gerade einen Konditormeister, der das Lehrlingsgeld verdoppelt und so auch wieder Lehrlinge bekommen hat. Aber da muss man schon auch den Zeithorizont sehen und sich fragen, ob man das wirtschaftlich leisten kann. Denn ein Lehrling ist zwei Tage in der Woche in der Schule, das Risiko trägt aber der Salon. Insofern finde ich die Erhöhung der Lehrlingsentschädigung unangemessen, weil der, der ohnehin schon ein Risiko eingeht, in ein noch größeres Risiko gestellt wird. Da ist es dann eben so, dass man sich überlegt, in welcher Zeit und mit welchen Kosten man was lernen kann und muss, und wenn da die Kosten erhöht werden, ist auch klar, dass wiederum viele Unternehmer sagen: „Ohne mich.“
OVERHEAD: Das heißt, man müsste woanders ansetzen?
Zöllner: Es gehen ja immer mehr viel zu schnell und zu weit aus dem Beruf. Das fehlt natürlich alles und das kann man auch nicht einfach ersetzen. Seit Corona sind darüber hinaus die Damenkunden zum Teil auch draufgekommen, dass sie sich selbst die Farbe machen können, und die Herren haben heute, beispielsweise mit Barbershops, einen mehr als ausreichenden Markt, der sie bedienen will. Das Nachwuchsproblem ergibt sich so für bestimmte Bereiche zum einen erst gar nicht. Zum anderen haben wir zum Beispiel in Baden-Württemberg derzeit 50 Prozent weniger Lehrlinge im Vergleich zum letzten Jahr, bei den Neueinsteigern wird es also noch mal weniger werden, und letztes Jahr war schon schlimm. Und wenn sich an Dauer und Rahmen nichts ändert, wird sich das noch verschärfen. Es wird meiner Ansicht darauf hinauslaufen, dass man eventuell auch wieder andere Ausbildungssysteme wieder zulässt, wie zum Beispiel in Amerika mit Kursbuchungen.
OVERHEAD: Was stellen Sie sich darunter konkret vor?
Zöllner: Beispielsweise eine Kernausbildung, die man um spezielle Bereiche erweitert. Man muss einfach mal den Stift in die Hand nehmen und schauen, was die Show kostet, anstatt immer mehr in die Ausbildung zu inkludieren. Durch ein eigenes Fach Beratung wird man den Verkauf nicht unbedingt verbessern können, das wird niemand zeigen können. Und Fakt ist, dass die Friseure immer weniger werden. Ich sehe da nur die Möglichkeit, die Ausbildung zu verbilligen, sei es durch Verkürzung oder gleich vollständige Verschulung. Im Osten Deutschlands beispielsweise war das inklusive Kosmetik eine zweijährige und sehr geschätzte Ausbildung, die waren ausgebucht. Man war also in der Lage, das in nur zwei Jahren zu machen. Aber Lehrlingsgeld zu erhöhen, ohne auch die Unternehmer wirtschaftlich zu entlasten, ist eine Katastrophe. Es muss ein Kredo werden, dass wir es auch in zwei Jahren schaffen. Gerade mit den digitalen Medien wäre das heutzutage einfacher.
OVERHEAD: Wie sieht es da auf der anderen Seite aus, bei den Lehrlingen? Wie hat sich das Angebot verändert?
Zöllner: Es gibt da wie immer unterschiedliche Elemente. Zum einen gibt es da den Traditionsberuf über mehrere Generationen, wo die Eltern wissen, was eine gute Ausbildung wert ist. Die schicken die Kinder dann in die Friseurschule und die sind dann auch schon viel weiter und arbeiten eventuell woanders. Bei Eltern, die das nicht haben, ist es schwieriger. Und da gibt es dann auch das Problem, was ich den Eltern darlegen kann, was ich mit dem Lehrling machen möchte, so dass der dann auch vielleicht schneller ausgebildet werden kann und eigenes Geld verdient. Eine andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang oft stellt, ist die nach dem Lehrlingskonzept. Das ist mit nur einem Lehrling schwierig, aber man kann dann eventuell auch mit anderen Salons zusammenarbeiten und einen Lehrsalon gestalten. Man muss dafür aber auch den Willen haben und es wäre natürlich super, wenn das ordnungspolitisch auch fundiert wäre. Das Friseurhandwerk wäre gut beraten, selbst Lösungen zu suchen, sonst kommen sie von außen. Und dieser Aspekt ist umso wichtiger, weil die jungen Leute ehrgeizig sind und Interesse daran haben, weiterzukommen. Gerade Österreich hatte zum Beispiel viele Weltmeister, aber dafür muss man sich auch um die Rahmenbedingungen kümmern, etwas Sinnstiftendes bieten. Denn wenn man sieht, was die jungen Leute in die sozialen Medien stellen, dann sieht man, was die wollen und dass es ihnen Spaß macht. Nur stellt sich halt auch die Frage, inwieweit ich als Unternehmer bereit bin, in junge Leute zu investieren, um für sie interessant zu sein, und gleichzeitig auch geschäftlich ok dazustehen. Sei es, indem ich sie zu Schulen schicke, Intensivtrainings biete oder aber auch wie manche Unternehmer auf Privatschulen schicke und so deutlich weniger Abbrecher habe. Denn das muss man auch sagen: Rund ein Drittel bricht im ersten Lehrjahr ab.
OVERHEAD: Ausbildung ist die eine Seite, Talente die andere. Wie lassen sich verborgene Fähigkeiten im Betrieb erkennen und – zum beiderseitigen Vorteil – nutzen?
Zöllner: Der erste Punkt hier ist die Frage, welches Leistungsvermögen die Mitarbeiter haben. Die Chefs sind ja oft wirklich gut darin, Qualitäten zu erkennen. Der zweite Punkt ist die Statistik. Die hat im Grunde jeder, aber man muss halt auch reinschauen. Da sieht man dann auch, wer was gut macht. Jeder Mitarbeiter baut sich ja auch seinen Kundenstamm auf, und wenn ich da ein Mitarbeitergespräch führe und darüber rede, was jemand gerne macht, dann ergibt sich daraus auch etwas. Und dann muss ich mir vielleicht auch firmenweite Maßnahmen überlegen und den einzelnen wie auch das Unternehmen weiterentwickeln. Das ist dann auch ein Thema für Investitionen. Da kommt mir zum Beispiel die Farb- und Stilberatung in den Sinn: Heute sind Salons eher zu groß als zu klein, da bietet sich also eventuell ein eigener Beratungsplatz an. Und da geht es dann halt auch darum, Mitarbeiter zu begeistern und mitzunehmen.
OVERHEAD: Wie kann man sich optimal auf unterschiedliche Zielgruppen in der Ausbildung einstellen?
Zöllner: Einerseits ist das eine schwierige Angelegenheit, weil viele Lehrlinge altersgemäß natürlich eigen sind, als Jugendliche und auch mit altersmäßigen Beschränkungen. Andererseits ist es auch eine Frage der Kundengruppe: Mit welcher arbeite ich eigentlich, wen hat man als Zielgruppe und wie bespielt man die? Wie gehen die Verbraucher mit Angeboten um? Und da kommt es sehr wohl zum Tragen, wen man alles für sich spielen lässt. Und daraus entwickelt sich wiederum eine Community, aus der man wieder Lehrlinge anspielen kann. Die Frage ist letztlich, ob die Kundenzielgruppe zu den zu suchenden Mitarbeitern passt, und da glaube ich, dass das davon abhängt, wo ich mit meinem Salon hin will, wofür mein Salon steht. Wie man also auch die Mitarbeiter anpassen muss, wenn man die Zielgruppe ändern möchte.